Die Sache mit der Liebe
Oder was Jeremy Bentham dazu zu sagen hat
In meinem letzten Kapitel habe ich dir von dem Bananen-Dilemma erzählt. Hier möchte ich heute wieder anknüpfen:
Gehen wir die ganze Angelegenheit realistischer an: Bevor wir mit Kant unsere Bananen wieder los werden können, müssen wir schließlich erstmal die besagten Bananen treffen, nicht wahr? Seien wir optimistisch und wir treffen eine. Entweder durch die vielen digitalen Pools von Datingwilligen oder ganz altmodisch durch die Irrungen und Wirrungen unseres realen Lebens wird uns eine Banane präsentiert.
STOOOP! Wir sind ja optimistisch. Wir wissen ja noch nicht, ob das zukünftige Objekte der Begierde eine Banane ist. Soweit sind wir ja noch gar nicht. Wir müssen ja erstmal die potentielle Nicht-Banane näher kennenlernen, um zu entscheiden, ob sie eine Banane oder eine Nicht-Banane ist.
Kant spielt weiterhin leise Melodien auf seinem Banjo. (Seine Trompete steht verpackt in der Ecke). Schließlich haben wir ja von ihm gelernt, dass wir die Person als den oder die zu sehen haben, der oder die sie ist. Zudem sollten wir keine voreiligen Rückschlüsse ziehen, was sie für uns darstellen könnte. Sprich, die Frage „Banane oder nicht Banane?“ ist zu diesem Zeitpunkt nicht zu stellen.
Nun müssen wir das Subjekt des Interesses näher kennenlernen, um dieses Subjekt – Kants freudiges Banjospiel im Hintergrund anerkennend – als Zweck zu behandeln, als Mensch wahrzunehmen, und nicht als Mittel, uns von – um es mit den Worten Alain de Bottons zu sagen – unserer Isolation in einer kalten und anonymen Welt zu befreien (De Botton, 15).
Wäre das mal alles so einfach mit dem Behandeln als Zweck! Die Sache ist gemäß der Evolutionsbiologie nämlich die (und Herr De Botton ist da schlauer als ich): Wir empfinden das als sexy, was eine Reflexion von etwas ist, das unsere Spezies erhält. Wir sind von Intelligenz angezogen, weil es eine Indikator für eine wichtige Qualität ist, um das Überleben unserer Jungen sicherzustellen. Wir mögen es, Menschen zu sehen, die gut tanzen, weil dieses ein Indikator für Lebenskraft ist. Und die ist wichtig, um unsere nächste Generation zu beschützen. Was die Gesellschaft als attraktiv bezeichnet, ist letztendlich jemand, der gut darin ist, Infektionen zu bekämpfen und ohne Komplikationen in den Wehen liegen kann. So sei die Freude daran, jemanden zum Essen einzuladen und zu einem späteren Zeitpunkt deren Hosen aufzuknöpfen, nicht nur begründet in der Stimulation von Nervenenden und der Befriedigung unseres biologischen Verlangens, sondern auch von der Freude, die in uns aufsteigt, jedoch kurz, uns von dieser Isolation in einer kalten und anonymen Welt zu befreien (De Botton, 13, 14, 15).
Obwohl anscheinend evolutionsbiologisch die Motive hinter unserem Drang nach potentiellen Nicht-Bananen eher in dem Mittel begründet sind, unsere Spezies zu erhalten, unsere Nervenenden zu stimulieren, unser
ebiologisches Verlangen zu befriedigen oder uns aus dieser Isolation zu befreien, hat Kant uns dennoch auferlegt, die potentiellen Nicht-Bananen als Zweck an sich wahrzunehmen. Ein Zweck, der eben nicht in der von unseren Hormonen vorgeheuchelten Leidenschaften, Hingaben, romantischen Emotionen, Attraktionen zu finden ist, sondern nur in der Geschichte und im Charakter der Person selbst. Puh! Nicht nur du kommst da ins Schwitzen.Kommen wir zurück zur eigentlichen Angelegenheit: Nas Näher-Kennenlernen der potentiellen Nicht-Banane. Glücklicherweise kann nicht nur Kant uns unser Dating-Leben erschweren, sondern auch andere Philosophen haben großes Interesse daran, uns alle zu besseren Bananen zu machen. Geben wir Jeremy Bentham diesmal eine Chance!
Für Bentham gilt das Prinzip des größten Glücks. Um eine Handlung zu bewerten, sind die Freude oder das Leid aller Personen zu evaluieren, deren Interesse anscheinend von der Handlung betroffen ist. Die Bilanz dessen zeigt dann auf, ob eine Handlung eine gute Tendenz hat oder eben nicht.
Stellen wir uns folgende kleine Szenerie vor:
Mädchen trifft Junge. Junge trifft Mädchen. Sie möchten zusammen was trinken gehen. Das freudige Banjospiel Kants auf der Bühne inspiriert beide zu sagen, dass sie sich besser kennenlernen wollen, indem sie sich ihre Geschichten erzählen. Kant spielt immer euphorischer auf seinem Banjo. Vollends begeistert spielt er, als er erfährt, dass beide sich vornehmen, die potentielle Nicht-Bananen-Frage auszuklammern. (Obwohl es immer eine Bananen-Frage sein wird, denn auch unsere Protagonisten kommen leider nicht aus ihren evolutionsbiologischen Rollen heraus und wollen langfristig ihre Nervenenden stimulieren, ihr biologisches Verlangen befrieden – und sich, auch wenn nur kurz, aus ihrer Isolation befreien. Das Kennenlernen dient daher letztendlich – trotz aller noblen und vernünftigen Vorsätze – zum Mittel, sich gegenseitig die Hosen aufzuknöpfen. Aber das müssen wir Kant nicht sagen. Den beiden Protagonisten auch nicht. Also: Pssst!).
Für Kant ist die Sache hier ganz klar und fürs erste abgesegnet. Er spielt weiter ruhig auf seinem Banjo.
Da betritt Jeremy die Bühne, baut sein Schlagzeug auf, nimmt seine Sticks in die Hand und fängt leise an zu spielen.
„Das ist doch eine ganz einfache Angelegenheit, Mr. Bentham! Es bringt den beiden Glück!“, rufst du ihm zu.
„Halt mal“, sagt Bentham und unterbricht sein Spiel. „Mag sein, dass in erster Linie die Handlung den beiden Freude bringt. In zweiter Linie wird das ganze schon komplizierter – auf Grund der Potentialität des Bananen-Seins beispielsweise. Zudem weißt du ja nicht, ob das gemeinsame Trinken von – sagen wir – Glühwein, beiden ausschließlich Freude macht. Es kann ihnen auch Leid zu fügen in der einen oder anderen Weise. Es braucht nur einer von den beiden keinen Glühwein zu vertragen! Hast du darüber schon mal nachgedacht? Darüber hinaus sind nicht nur die Interessen der beiden von dieser Handlung betroffen, sondern auch die Interessen anderer Personen.“
„Wer sollte davon noch betroffen sein, wenn die beiden einen Glühwein trinken? Es ist doch nur Glühwein!“, fragst du erstaunt.
„Naja“, spricht Bentham weiter mit tiefer Stimme, „da fallen mir so einige ein. Die Personen, die auch mit dem Mädchen oder dem Jungen was trinken wollen. Mag sein, dass der Verzicht auf die jeweilige Person sie traurig stimmt. Natürlich könnte sie das auch freuen. Da müssten wir zunächst die einzelnen Personen fragen. Entsprechend der Anzahl der konkreten Personen könnte dies entsprechend lange dauern. Die Personen, die gerne an Stelle von dem Mädchen oder Jungen wären. Die sind sicherlich auch traurig darüber, dass man nicht mit ihnen Glühwein trinken will. Die Personen, die an dem Verkauf des Getränks beteiligt sind. Die haben Freude an den Einnahmen. Umso mehr Freude, je mehr die beiden trinken. Die Personen, die in liebevoller Nähe zu unseren Protagonisten stehen, die in erster Linie zu dem Zeitpunkt des Treffens Junge oder Mädchen nicht erreichen können mit ihren Anliegen, die nach dem Treffen, und somit in zweiter Linie, von der Stimmung unserer Protagonisten betroffen sind – nachdem sie endlich zurückrufen. Und so weiter, und so weiter… entsprechend wie eben die genaue Situation ist.“
Kant spielt weiterhin leise auf seinem Banjo in der hintersten Ecke der Bühne. Bentham schaut ihn an.
„Nicht zu vergessen“, führt Bentham seinen Monolog fort, „unseren lieben Freund Immanuel. Wenn am Ende des Abends die beiden sich doch gegenseitig die Hose aufknöpfen, würde das ihm hier nämlich ziemlich viel Leid zufügen.“
Kant schaut auf und nickt Bentham zu. Bentham nimmt seine Sticks.
„Moment!“, sagst du vehement. „So knüpft mir ja nie mehr jemand die Hose auf.“, fährst du entsetzt fort. „Erst sagt Immanuel mir, dass ich die potentiellen Nicht-Bananen nicht mehr als Mittel sehen darf, um meine nun mal vorhandenen Bedürfnisse zu stillen, sondern jetzt erzählst du mir, Jeremy, bevor ich überhaupt ansatzweise einem Hosenbund nahe komme, das ich Interessen von anderen evaluieren soll?“
Jeremy schmunzelt. Dreht sich zu seinem Schlagzeug um. Setzt an, hält inne.
„Unter uns“, flüstert er dir zu, „mir ist das ja egal, ob man dir am Ende des Abends die Hose aufknöpft.“ Lachend sagt er: „Solange es das größte Glück aller ist.“
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Auch wenn wir rational unser Dating-Leben angehen, mit Immanuel unsere Bananen des Lebens – ohne sie als Mittel zu einem Zweck zu behandeln – wieder loswerden, mit Jeremy evaluiert haben, ob es das größte Glück der größten Zahl ist, der potentiellen Nicht-Banane die Hosen aufzuknöpfen, begegnen wir dennoch ab und an einem Paradoxon. So werden nämlich manchmal Nicht-Bananen von uns zu Bananen konstruiert. Irrsinnig, oder?
Diese anscheinende Widersprüchlichkeit kann verschiedene Gründe haben. So mag es vorkommen, dass wir behaupten, eine Nicht-Banane sei eine Banane, weil wir Angst davor haben, für diese wundersame Nicht-Banane eine Banane zu sein. Kompliziert, was? Bevor er/sie uns „Banane“ nennt, mit Kant uns wieder los wird, ist es doch weitaus schmerzfreier ihn/sie als Banane zu konstruieren. Schließlich haben wir Erfahrung damit, was eine Banane für uns ausmacht. Und schließlich sind wir alle Meister darin, Anhaltspunkte zu finden, genau jene Nicht-Banane zu einer Banane zu machen. Du brauchst gerade nicht den Kopf zu schütteln. Wir alle haben diesen paradoxen Tanz bereits aufgeführt. Abstreiten hilft da nicht!
Die Vertrautheit unserer Isolation in dieser kalten und anonymen Welt ist uns in diesen Momenten lieber als die Scham, die uns heimsucht, wenn uns mitgeteilt wird, dass es eben nicht das größte Glück der größten Zahl ist, unsere Hosen aufzuknöpfen oder wir sogar mit den Worten abserviert werden: „Schätzelein, du bist eine Banane für mich. Ich hasse es Bananen zu essen. Geh‘ und finde dir eine andere Banane!“.
Dann ist da noch eine andere Sache, die uns zu schaffen macht: In unserer Isolation haben wir uns ein geheimes Königreich geschaffen. Wir haben feinsäuberlich unsere Schlösser erbaut, sie liebevoll eingerichtet, kontinuierlich sind wir am Aufräumen und Restaurieren, wir gestalten täglich in ihnen Details, die nur wir kennen. In diesem Königreich herrschen wir. Wir können uns auf unseren Thron zurückziehen, wenn die Welt da draußen uns zu Dienern macht, uns versklavt oder als Narren sieht. Dieses Königreich zu teilen? Die Gefahr hinnehmen, dass unsere Nicht-Banane unser wundersames Königreich wieder verlässt? Lieber hüten wir unser beschütztes Königreich als Geheimnis in der Hoffnung, dass niemand jemals davon wissen wird. Erwischt?
Wir riskieren so nicht, jemanden in unser Königreich zu lassen. Wir riskieren so auch nicht, dass jemand unserer wunderbares Königreich wieder verlässt. Und somit vielleicht etwas, was wir in unserer Isolation unter Verschluss halten, in die Welt hinaus trägt. Es wäre plötzlich nicht mehr unser geheimnisvolles Königreich, wenn jemand anderes es durch seine/ihre Augen betrachtet hat und sich anschließend lieber für die Isolation oder sogar für ein anderes Königreich entscheidet, nicht wahr?
Manchmal kommt es auch vor, dass wir eine Nicht-Banane zu einer Banane konstruieren, weil es Dinge für uns einfacher macht. Mit gewissen Emotionen brauchen wir uns nicht weiter zu beschäftigen und mit der Ambivalenz des menschlichen Seins nicht weiter auseinander zu setzten.
So werden ganz einfach Nicht-Bananen zu Bananen.
Alain Badiou schreibt jedoch folgendes:
„Ich bin nun aber davon überzeugt, dass die Liebe als etwas, was jeder will, als etwas, das beinahe für jeden das ausmacht, was dem Leben Intensität und Bedeutung verleiht, unter den Bedingungen der gänzlichen Abwesenheit von Risiken nicht dieses Geschenk an das Dasein sein kann.“ (16)
Fluchen möchte man jetzt! Da haben wir eine Lösung gefunden unser Königreich zu verbergen, in der Vertrautheit unserer Isolation uns wohlzufühlen, Nicht-Bananen zu Bananen zu machen, um ja kein Risiko einzugehen, verletzt zu werden, um uns dann sagen zu lassen, dass wir mit den Risiken leben müssen? „Scheiß‘ auf die Liebe!“, will man da schreien.
Seien wir aber ehrlich: Wir führen diesen paradoxen Bananen/Nicht-Bananen-Tanz nicht auf, weil uns die Liebe am Arsch vorbei geht. Stimmt’s?
In „Lob der Liebe“ berichtet Badiou von einer Partnervermittlung, die Werbung mit einer schmerz- und risikofreien Liebe macht sowie ein Liebescoaching anbietet. Es sei „die Vollkaskoversicherung der Liebe“ (16). Wenn wir unseren Bananen/Nicht-Bananen-Tanz aufführen, dann ist es das was wir wollen: eine Vollkaskoversicherung. Nun ja, kurz und knapp: Die gibt es nicht!
Zudem birgt es einen anderen Aspekt, den Badiou wie folgt beschreibt:
„Wie alles, dessen Norm die Sicherheit ist, bedeutet die sicherheitsbesessene Liebe die Abwesenheit von Risiken für jenen, der eine gute Versicherung hat, (…) eine gute Psychologie des persönlichen Genusses, und das ganze Risiko für den, der ihm gegenübersteht.“ (17)
In Momenten, in denen wir also unseren Bananen/Nicht-Bananen-Tanz aufführen, geben wir das vollkommene Risiko an das Gegenüber ab. So sind es nicht nur wir, die existentielle Ängste davor haben, dass das eigene Königreich zusammen brechen könnte, wenn wir nur den/die Falsche/n hineinlassen, sondern auch der/diejenige, der/die uns in dem Moment gegenüber steht, hat ein Königreich zu verteidigen! Wie war das nochmal mit dem geteilten Leid? Geteiltes Leid ist halbes Leid? Ist vielleicht dann auch geteiltes Risiko, halbes Risiko?
Eines ist unbestreitbar – trotz aller geglückten Versuche von Bananen/Nicht-Bananen Tänzen:
„(D)ie Liebe findet letztlich in der Welt statt. Sie ist ein Ereignis, das nach den Gesetzten der Welt weder vorhersehbar noch berechenbar war. Auf diese Begegnung kann man sich nicht vorbereiten (…) denn letztlich, in dem Augenblick, in dem man sich sieht, sieht man sich.“ (Badiou, 34).
Und so kommt ab und an die verrückteste Sache mit Bananen vor: Es wird einem eine Banane (oder welches Lebensmittel auch immer du nicht magst – Rosinen, Ingwer, Tomaten, Austernpilze vielleicht?) untergejubelt. Plötzlich muss man feststellen, dass man Bananen mag. Die Bananen/Nicht-Bananen-Angelegenheit löst sich damit in Luft auf. Was dann bleibt ist schlussendlich nur eine Frage: „Wie konnte ich das so lange übersehen?“.
Das Bananen-DIlemma
Oder das Dilemma, Kant (falsch?) im wahren Leben anzuwenden
Ich mag keine Bananen. Meine Abneigung ist begründet in meiner Aversion gegenüber ihrem schwerfälligen Geschmack und ihrer schweren Struktur, die besonders beim Kauen im Mund zum Tragen kommt. Am meisten jedoch ist es ihr starker und unausweichlicher Geruch, der die eigene Erinnerung selbst Stunden nach der kulinarischen Begegnung einnimmt und mich angewidert zurücklässt. In der Tat: Ich mag wirklich, ehrlich, aufrichtig keine Bananen leiden!
Gleichzeitig weiß ich, dass Bananen großartige Früchte sind. Ich bin schwer beeindruckt von ihrer Form, dem Wechsel ihrer Farbe von einem hellen Grün zu einem tief schwarz gepunkteten Gelb – erstaunlich, nicht wahr? Zudem fasziniert mich die Tatsache, was diese Frucht für den menschlichen Körper zu offerieren hat: Vitamine, Mineralien, Ballaststoffe. Bananen sind gut für das Herz-Kreislauf-System und dienen dem Verdauungspappart. Athleten essen Bananen für eine bessere Leistung. Großartig! Bananen haben Superkräfte!
Dennoch mag ich höchst ungern Bananen.
Aber wir alle haben doch sicherlich dieses eine Lebensmittel, das wir – trotz all dem Guten was es unserem Körper offeriert – einfach nicht leiden können, oder?
Wenn es um Menschen geht, habe ich für mich selbst folgende Analogie übernommen: Es gibt Menschen, die für mich einfach Bananen sind. Auch wenn ich keine Bananen essen mag, bedeutet dies nicht, dass die Bananen nicht zu respektieren sind, nicht von intrinsischem Wert und dass ihnen nicht mit Unfreundlichkeit zu begegnen ist, nur weil meine Wenigkeit eine subjektive Abneigung gegenüber ihrem Verzehr hat. Eindeutig haben sie ja Superkräfte, unabhängig meiner persönlichen Präferenzen. Eben weil mein Geschmack dafür nicht gemacht ist, diese zu würdigen, bedeutet dies nicht, dass die Superkräfte nicht objektiv existieren.
Du fragst, was Kant damit jetzt zu tun hat? Herr Immanuel hat das Ganze wie folgt in seiner Menschheitsformel formuliert: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“
Probieren wir dies auf Bananen anzuwenden: Nur weil ich den Verzehr von Bananen (oder den intensiven Umgang mit bestimmten Menschen) ablehne, bedeutet dies nicht, dass ich sie wegwerfen (oder ignorieren) sowie drauf treten (oder respektlos behandeln) sollte. Würde ich das tun, würde ich die Bananen lediglich als Mittel ansehen, meiner persönlichen, kulinarischen (oder sozialen) Bereicherung dienen zu müssen. Obwohl sie dieses Mittel schließlich auf Grund meines subjektiven Nicht-Mögens nicht darstellen, erfüllen sie dennoch einen objektiven Sinn innerhalb der Gemeinschaft der Früchte (und Menschen). Schließlich haben sie Superkräfte, welche nicht nur als Mittel zur Befriedung subjektiver Bedürfnisse dienen.
Die Wahrheit ist die, dass von den vielen Menschen, die wir innerhalb unseres Lebens treffen, viele von ihnen nun mal Bananen sind. Ich meine, dass dies nichts damit zu tun hat, dass man sozial intolerant oder nicht anpassungsfähig ist. Es ist einfach, wie es ist. Nämlich, dass nicht alle unsere Sinne dafür gemacht sind, jede Art von Lebensmittel würdigen zu können. Ich glaube auch, dass das eine gute Sache ist. Die Lebensmittel, von denen unsere Sinne sich bereichert fühlen, sind auch nur besonders für uns aufgrund all der Lebensmittel, von denen wir uns kulinarisch nicht bereichert fühlen. Ohne diese würden wir den Unterschied nicht kennen.
So weit, so gut. ABER – ich habe das Gefühl, dass man dennoch einem Dilemma begegnet, wenn man versucht jede Banane, die man trifft, als Zweck mit einem Sinn an sich zu behandeln, und somit versucht, Kant im wahren Leben anzuwenden. Nennen wir diesen Umstand das kantianische Bananen-Dilemma. Ich werde versuchen, diesen Umstand zu illustrieren, indem ich es auf unser Dating-Leben anwende, einen Bereich unseres persönlichen Lebens, der nach meinen persönlichen Beobachtungen besonders das kantianische Bananen-Dilemma hervorhebt.
Wenn wir möchten, kann unser Dating-Leben schnell und aufregend sein. Wir sind in der Lage, so oft und so viel zu daten wie wir wollen – persönlich, virtuell, passiv. Wir sind dabei in der Lage, während wir auf einem Date mit einer reellen Person sind, virtuell eine andere Person zu daten indem wir ihr mit Hilfe unserer Handys schreiben, und passiv durch unsere Online-Dating-Profile, die währenddessen zukünftige Interessenten zu akquirieren versuchen. Herzlichen Dank Tinder und Parship für die Chance des Multi-Tasking-Datings! Nicht nur steigert das unsere Möglichkeiten, viele Partner zu finden, mit denen wir vielleicht, wahrscheinlich, tatsächlich, doch nicht sexuell interagieren (werden) und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, endlich den Einen oder die Eine zu finden (zumindest ist es doch das, was wir alle behaupten zu wollen, nicht wahr? Danke, Hollywood, für das Pflanzen dieser Idee als notwendige Bedingung in unsere Köpfe!), sondern dies steigert auch enorm die Anzahl der Bananen, die wir treffen.
Kant betritt hier die Bühne auf seinem magischen Pferd durch eine glorreiche Landschaft reitend und laut rufend: „Sie sind nicht nur als Mittel zu behandeln, um deine sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen, um den Einen oder die Eine zu treffen, sondern auch als Zweck, dessen Sinn ausschließlich darin liegt, der Eine oder die Eine für einen anderen Menschen zu sein, der auch als Mensch selbst anzuerkennen ist.“
Das Dilemma wird besonders in Momenten offensichtlich, wenn wir während diesen romantischen Intermezzos realisieren „Oh nein! Eine Banane!“. Und folglich diese Banane kurzer Hand wieder los werden wollen. Erneut! Die fünfte in Folge – scheiße! Auf zur nächsten in der Hoffnung, dass diese unsere Sinne zumindest nach unseren Vorstellungen bereichert. Immanuel spielt sicherlich im Hintergrund leise Melodien auf seinem Banjo.
Nun ja, eine Möglichkeit – wie ich letztens gelesen habe – ist „Ghosting“. Ein einfacher Weg, der die eigenen Hände nicht schmutzig macht, um die angelachten Bananen wieder los zu werden. Ein Phänomen, das das plötzliche Verschwinden einer Person beschreibt, indem sie sich bei der anderen Person plötzlich nicht mehr meldet. Das ist in der Tat ein sehr einfacher Weg, all die Bananen wieder los zu werden, denkst du nicht auch? Kein seltsames Gespräch, keine peinliche Erklärung, kein heuchlerisches „Lass‘ uns Freunde bleiben!“. Die kantianische Trompete bläst leidenschaftlich.
Lass uns zur Quintessenz kommen: Um Kant auf unser Dating-Leben anzuwenden, würde das nicht nur bedeuten, dass wir nur eine Person persönlich über einen bestimmten Zeitraum daten (kein virtuelles oder passives Dating währenddessen), sondern auch diese Person als Person anerkennen und nicht nur als ein Mittel behandeln, unsere sexuelle Bedürfnisse zu stillen oder um die Eine oder den Einen endlich zu finden. Unsere Bedürfnisse sind nicht Priorität, sondern die Person selbst. Natürlich fragst du dich, wie das bei ungefähr 7,1 Milliarden Menschen auf der Welt umgesetzt werden sollte, angesichts der kurzen Zeit, die uns gegeben ist, und in der wir so viele Erfahrungen machen und Spaß wie möglich haben wollen. Natürlich würden nicht alle unsere Bedürfnisse nach unserem Belieben mehr gestillt werden. Ein Investment, dass die Wahrscheinlichkeit zu unserem Nachteil reduziert, einen adäquaten Partner (oder mehrere) zu finden.
Viel mehr, praktisch würde das bedeuten, dieser Person zuzuhören, was sie oder er zu erzählen hat; den Dingen Glauben zu schenken, die sie verletzt haben, die ihre Herzen berührt haben; herauszufinden, was diese Person zu genau jener Person gemacht hat; aufrichtig versuchen, den Menschen vor uns zu verstehen. Kleine Puzzleteile, die uns realisieren lassen würden, dass das Leben und die Menschen sehr farbenfroh sind und sogar Bananen Superkräfte haben. Es würde uns die Möglichkeit bieten, in ein anderes Leben einzutauchen, um eine andere Art und Weise zu leben zu entdecken. (Was etwas Magisches sein kann, da wir leider nur wir selbst in diesem Leben sein können.) Wir riskieren dabei, dass wir uns vielleicht sogar in eine Banane verlieben. Bääh!
Und plötzlich stecken wir in einem Dilemma: So sehr wir uns gerade in all die Superkräfte der Banane verliebt haben, können wir immer noch nicht ihren Geschmack und ihrem Geruch anständig würdigen. Manche Dinge lassen sich nicht ändern. Bananen bleiben manchmal Bananen. Auf der einen Seite steht das Mittel der Befriedung unserer Bedürfnisse, endlich den Einen oder die Eine zu finden in Widerspruch dazu, dass die Banane als die Eine oder der Eine mit seinen Superkräftigen, Geschmack UND Geruch gewürdigt werden sollte. Doof, nicht wahr? Auf der anderen Seite müssen wir plötzlich diese Banane wieder los werden, weil wir sie ja nicht als Mittel behandeln sollen – was wir auf Grund unserer Unfähigkeit, die Banane als Ganzes aufrichtig zu würdigen, nicht tun können. Ghosting ist keine Option mehr. Ach, du grüne Neune, das Leben ist kein Ponyhof!
Was sollen wir tun, Immanuel? Der Person sagen, dass wir verliebt sind in all ihre Superkräfte, aber unfähig sind ihren Geruch und Geschmack zu würdigen und sie stets Mittel für uns bleiben würde, einfach weil sie nun mal eine Banane ist? Würde die besagte Person, die tief für uns empfindet (weil wir nun mal keine Banane für sie oder ihn sind) nicht erwidern, dass Geschmäcke änderbar sind, dies nur Zeit benötigt? Vielleicht sind wir zu arrogant, ihren Geschmack und Geruch nicht würdigen zu können? Sollten wir uns vielleicht zwingen, sie zu essen, weil wir sie nicht nur als Mittel behandeln sollen? Und selbst, wenn wir es irgendwie schaffen, das Schlachtfeld zu verlassen, würde nicht unsere von Liebeskummer geplagte Banane über uns nachdenken, immer und immer wieder, weil wir gesagt haben, dass wir in ihre Superkräfte verliebt sind? Behandeln wir damit die Person wirklich als Zweck, oder behandeln wir sie nicht weiterhin als Mittel (diesmal, zu dem Zweck, Kants Banjospiel im Hintergrund so leise wie möglich zu halten)? Ist das gerecht?
Oder überschätzen wir unsere Geschmacksqualitäten und unsere Liebeskummer-geplagte Banane ist eigentlich eine glückliche Banane, weil wir für sie oder ihn die Rosine sind, dessen Geschmack er oder sie nicht ausstehen kann? Sollten wir das nächste Mal einfach sagen: „Schätzelein, du bist eine Banane für mich. Ich hasse es, Bananen zu essen. Geh und finde dir eine andere Banane!“?
Was hätte Kant empfohlen? Hätte er mir gesagt, dass ich den Umstand komplett missverstanden haben?
Traurigerweise kann ich Immanuel nicht auf ein romantisches Glas Rotwein einladen – und selbstverständlich auf eine Banane.