Das Bananen-DIlemma
Oder das Dilemma, Kant (falsch?) im wahren Leben anzuwenden
Ich mag keine Bananen. Meine Abneigung ist begründet in meiner Aversion gegenüber ihrem schwerfälligen Geschmack und ihrer schweren Struktur, die besonders beim Kauen im Mund zum Tragen kommt. Am meisten jedoch ist es ihr starker und unausweichlicher Geruch, der die eigene Erinnerung selbst Stunden nach der kulinarischen Begegnung einnimmt und mich angewidert zurücklässt. In der Tat: Ich mag wirklich, ehrlich, aufrichtig keine Bananen leiden!
Gleichzeitig weiß ich, dass Bananen großartige Früchte sind. Ich bin schwer beeindruckt von ihrer Form, dem Wechsel ihrer Farbe von einem hellen Grün zu einem tief schwarz gepunkteten Gelb – erstaunlich, nicht wahr? Zudem fasziniert mich die Tatsache, was diese Frucht für den menschlichen Körper zu offerieren hat: Vitamine, Mineralien, Ballaststoffe. Bananen sind gut für das Herz-Kreislauf-System und dienen dem Verdauungspappart. Athleten essen Bananen für eine bessere Leistung. Großartig! Bananen haben Superkräfte!
Dennoch mag ich höchst ungern Bananen.
Aber wir alle haben doch sicherlich dieses eine Lebensmittel, das wir – trotz all dem Guten was es unserem Körper offeriert – einfach nicht leiden können, oder?
Wenn es um Menschen geht, habe ich für mich selbst folgende Analogie übernommen: Es gibt Menschen, die für mich einfach Bananen sind. Auch wenn ich keine Bananen essen mag, bedeutet dies nicht, dass die Bananen nicht zu respektieren sind, nicht von intrinsischem Wert und dass ihnen nicht mit Unfreundlichkeit zu begegnen ist, nur weil meine Wenigkeit eine subjektive Abneigung gegenüber ihrem Verzehr hat. Eindeutig haben sie ja Superkräfte, unabhängig meiner persönlichen Präferenzen. Eben weil mein Geschmack dafür nicht gemacht ist, diese zu würdigen, bedeutet dies nicht, dass die Superkräfte nicht objektiv existieren.
Du fragst, was Kant damit jetzt zu tun hat? Herr Immanuel hat das Ganze wie folgt in seiner Menschheitsformel formuliert: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“
Probieren wir dies auf Bananen anzuwenden: Nur weil ich den Verzehr von Bananen (oder den intensiven Umgang mit bestimmten Menschen) ablehne, bedeutet dies nicht, dass ich sie wegwerfen (oder ignorieren) sowie drauf treten (oder respektlos behandeln) sollte. Würde ich das tun, würde ich die Bananen lediglich als Mittel ansehen, meiner persönlichen, kulinarischen (oder sozialen) Bereicherung dienen zu müssen. Obwohl sie dieses Mittel schließlich auf Grund meines subjektiven Nicht-Mögens nicht darstellen, erfüllen sie dennoch einen objektiven Sinn innerhalb der Gemeinschaft der Früchte (und Menschen). Schließlich haben sie Superkräfte, welche nicht nur als Mittel zur Befriedung subjektiver Bedürfnisse dienen.
Die Wahrheit ist die, dass von den vielen Menschen, die wir innerhalb unseres Lebens treffen, viele von ihnen nun mal Bananen sind. Ich meine, dass dies nichts damit zu tun hat, dass man sozial intolerant oder nicht anpassungsfähig ist. Es ist einfach, wie es ist. Nämlich, dass nicht alle unsere Sinne dafür gemacht sind, jede Art von Lebensmittel würdigen zu können. Ich glaube auch, dass das eine gute Sache ist. Die Lebensmittel, von denen unsere Sinne sich bereichert fühlen, sind auch nur besonders für uns aufgrund all der Lebensmittel, von denen wir uns kulinarisch nicht bereichert fühlen. Ohne diese würden wir den Unterschied nicht kennen.
So weit, so gut. ABER – ich habe das Gefühl, dass man dennoch einem Dilemma begegnet, wenn man versucht jede Banane, die man trifft, als Zweck mit einem Sinn an sich zu behandeln, und somit versucht, Kant im wahren Leben anzuwenden. Nennen wir diesen Umstand das kantianische Bananen-Dilemma. Ich werde versuchen, diesen Umstand zu illustrieren, indem ich es auf unser Dating-Leben anwende, einen Bereich unseres persönlichen Lebens, der nach meinen persönlichen Beobachtungen besonders das kantianische Bananen-Dilemma hervorhebt.
Wenn wir möchten, kann unser Dating-Leben schnell und aufregend sein. Wir sind in der Lage, so oft und so viel zu daten wie wir wollen – persönlich, virtuell, passiv. Wir sind dabei in der Lage, während wir auf einem Date mit einer reellen Person sind, virtuell eine andere Person zu daten indem wir ihr mit Hilfe unserer Handys schreiben, und passiv durch unsere Online-Dating-Profile, die währenddessen zukünftige Interessenten zu akquirieren versuchen. Herzlichen Dank Tinder und Parship für die Chance des Multi-Tasking-Datings! Nicht nur steigert das unsere Möglichkeiten, viele Partner zu finden, mit denen wir vielleicht, wahrscheinlich, tatsächlich, doch nicht sexuell interagieren (werden) und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, endlich den Einen oder die Eine zu finden (zumindest ist es doch das, was wir alle behaupten zu wollen, nicht wahr? Danke, Hollywood, für das Pflanzen dieser Idee als notwendige Bedingung in unsere Köpfe!), sondern dies steigert auch enorm die Anzahl der Bananen, die wir treffen.
Kant betritt hier die Bühne auf seinem magischen Pferd durch eine glorreiche Landschaft reitend und laut rufend: „Sie sind nicht nur als Mittel zu behandeln, um deine sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen, um den Einen oder die Eine zu treffen, sondern auch als Zweck, dessen Sinn ausschließlich darin liegt, der Eine oder die Eine für einen anderen Menschen zu sein, der auch als Mensch selbst anzuerkennen ist.“
Das Dilemma wird besonders in Momenten offensichtlich, wenn wir während diesen romantischen Intermezzos realisieren „Oh nein! Eine Banane!“. Und folglich diese Banane kurzer Hand wieder los werden wollen. Erneut! Die fünfte in Folge – scheiße! Auf zur nächsten in der Hoffnung, dass diese unsere Sinne zumindest nach unseren Vorstellungen bereichert. Immanuel spielt sicherlich im Hintergrund leise Melodien auf seinem Banjo.
Nun ja, eine Möglichkeit – wie ich letztens gelesen habe – ist „Ghosting“. Ein einfacher Weg, der die eigenen Hände nicht schmutzig macht, um die angelachten Bananen wieder los zu werden. Ein Phänomen, das das plötzliche Verschwinden einer Person beschreibt, indem sie sich bei der anderen Person plötzlich nicht mehr meldet. Das ist in der Tat ein sehr einfacher Weg, all die Bananen wieder los zu werden, denkst du nicht auch? Kein seltsames Gespräch, keine peinliche Erklärung, kein heuchlerisches „Lass‘ uns Freunde bleiben!“. Die kantianische Trompete bläst leidenschaftlich.
Lass uns zur Quintessenz kommen: Um Kant auf unser Dating-Leben anzuwenden, würde das nicht nur bedeuten, dass wir nur eine Person persönlich über einen bestimmten Zeitraum daten (kein virtuelles oder passives Dating währenddessen), sondern auch diese Person als Person anerkennen und nicht nur als ein Mittel behandeln, unsere sexuelle Bedürfnisse zu stillen oder um die Eine oder den Einen endlich zu finden. Unsere Bedürfnisse sind nicht Priorität, sondern die Person selbst. Natürlich fragst du dich, wie das bei ungefähr 7,1 Milliarden Menschen auf der Welt umgesetzt werden sollte, angesichts der kurzen Zeit, die uns gegeben ist, und in der wir so viele Erfahrungen machen und Spaß wie möglich haben wollen. Natürlich würden nicht alle unsere Bedürfnisse nach unserem Belieben mehr gestillt werden. Ein Investment, dass die Wahrscheinlichkeit zu unserem Nachteil reduziert, einen adäquaten Partner (oder mehrere) zu finden.
Viel mehr, praktisch würde das bedeuten, dieser Person zuzuhören, was sie oder er zu erzählen hat; den Dingen Glauben zu schenken, die sie verletzt haben, die ihre Herzen berührt haben; herauszufinden, was diese Person zu genau jener Person gemacht hat; aufrichtig versuchen, den Menschen vor uns zu verstehen. Kleine Puzzleteile, die uns realisieren lassen würden, dass das Leben und die Menschen sehr farbenfroh sind und sogar Bananen Superkräfte haben. Es würde uns die Möglichkeit bieten, in ein anderes Leben einzutauchen, um eine andere Art und Weise zu leben zu entdecken. (Was etwas Magisches sein kann, da wir leider nur wir selbst in diesem Leben sein können.) Wir riskieren dabei, dass wir uns vielleicht sogar in eine Banane verlieben. Bääh!
Und plötzlich stecken wir in einem Dilemma: So sehr wir uns gerade in all die Superkräfte der Banane verliebt haben, können wir immer noch nicht ihren Geschmack und ihrem Geruch anständig würdigen. Manche Dinge lassen sich nicht ändern. Bananen bleiben manchmal Bananen. Auf der einen Seite steht das Mittel der Befriedung unserer Bedürfnisse, endlich den Einen oder die Eine zu finden in Widerspruch dazu, dass die Banane als die Eine oder der Eine mit seinen Superkräftigen, Geschmack UND Geruch gewürdigt werden sollte. Doof, nicht wahr? Auf der anderen Seite müssen wir plötzlich diese Banane wieder los werden, weil wir sie ja nicht als Mittel behandeln sollen – was wir auf Grund unserer Unfähigkeit, die Banane als Ganzes aufrichtig zu würdigen, nicht tun können. Ghosting ist keine Option mehr. Ach, du grüne Neune, das Leben ist kein Ponyhof!
Was sollen wir tun, Immanuel? Der Person sagen, dass wir verliebt sind in all ihre Superkräfte, aber unfähig sind ihren Geruch und Geschmack zu würdigen und sie stets Mittel für uns bleiben würde, einfach weil sie nun mal eine Banane ist? Würde die besagte Person, die tief für uns empfindet (weil wir nun mal keine Banane für sie oder ihn sind) nicht erwidern, dass Geschmäcke änderbar sind, dies nur Zeit benötigt? Vielleicht sind wir zu arrogant, ihren Geschmack und Geruch nicht würdigen zu können? Sollten wir uns vielleicht zwingen, sie zu essen, weil wir sie nicht nur als Mittel behandeln sollen? Und selbst, wenn wir es irgendwie schaffen, das Schlachtfeld zu verlassen, würde nicht unsere von Liebeskummer geplagte Banane über uns nachdenken, immer und immer wieder, weil wir gesagt haben, dass wir in ihre Superkräfte verliebt sind? Behandeln wir damit die Person wirklich als Zweck, oder behandeln wir sie nicht weiterhin als Mittel (diesmal, zu dem Zweck, Kants Banjospiel im Hintergrund so leise wie möglich zu halten)? Ist das gerecht?
Oder überschätzen wir unsere Geschmacksqualitäten und unsere Liebeskummer-geplagte Banane ist eigentlich eine glückliche Banane, weil wir für sie oder ihn die Rosine sind, dessen Geschmack er oder sie nicht ausstehen kann? Sollten wir das nächste Mal einfach sagen: „Schätzelein, du bist eine Banane für mich. Ich hasse es, Bananen zu essen. Geh und finde dir eine andere Banane!“?
Was hätte Kant empfohlen? Hätte er mir gesagt, dass ich den Umstand komplett missverstanden haben?
Traurigerweise kann ich Immanuel nicht auf ein romantisches Glas Rotwein einladen – und selbstverständlich auf eine Banane.