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    Ethisches Marketing: Umsetzung ethischer Marketing-Instrumente

    Ethisches Marketing bedeutet nicht, keine Verkaufspsychologie zu nutzen – sondern sie bewusst einzusetzen. Dabei geht es darum, Marketingstrategien so zu gestalten, dass sie nicht nur wirtschaftlich erfolgreich sind, sondern auch mit den eigenen Werten übereinstimmen.

    In diesem zweiteiligen Artikel haben Anika und ich unsere Expertise kombiniert, um dir ethisches bzw. werteorientiertes Marketing näherzubringen. Während du bei mir im Theorieteil erfahren hast, was ethisches Marketing bedeutet und warum Werte im Marketing so wichtig sind, geht es hier im Artikel von Anika um die praktische Umsetzung. Gemeinsam möchten wir dir zeigen, wie du ethische Grundsätze in dein Marketing integrieren kannst – ohne dabei auf Effektivität zu verzichten.


    Hi, ich bin Anika, Webdesignerin und Online Business Managerin. Schon früh in meiner Selbstständigkeit bin ich auf Marketingstrategien gestoßen, die sich für mich nicht richtig angefühlt haben:
    Warum soll ich Kursplätze mit einem Countdown verkaufen, obwohl die Plätze nicht wirklich begrenzt sind? Warum soll ich erzählen, dass es nur noch fünf Plätze gibt, wenn es in Wirklichkeit viel mehr sind? Und warum sollte ich potenziellen Kund:innen immer wieder vor Augen führen, wie schlecht es ihnen ohne mein Produkt geht? Warum noch mehr Salz in die Wunden streuen?

    Mit der Zeit habe ich erkannt, dass diese Taktiken oft funktionieren – aber nicht zu mir und meinen Werten passen. Deshalb habe ich mich auf die Suche nach Alternativen gemacht und bin dabei auf das Feld des „ethischen Marketings“ gestoßen. Du findest dazu viele Begriffe: nachhaltiges Marketing, achtsames Marketing oder Non-Toxic-Marketing. Auch wenn die Abgrenzung manchmal schwierig ist, teilen diese Konzepte ein gemeinsames Ziel: Marketing zu schaffen, das authentisch, ehrlich und werteorientiert ist.

    Im folgenden Artikel geht es darum, wie Ethik im Marketing aussehen kann. Dabei schauen wir uns gängige Marketing-Instrumente an und klären, ob sie grundsätzlich problematisch sind – oder wie man sie gezielt und im Einklang mit den eigenen Werten einsetzen kann.

    1. Gängige Marketing-Instrumente 

    Du bist ihnen bestimmt schon begegnet: Marketing-Instrumente, die dazu eingesetzt werden, dich zum Kauf eines Produkts zu bewegen. Viele dieser Techniken basieren auf psychologischen Prinzipien und sind in der Marketingwelt weit verbreitet. Doch sie sind nicht immer so harmlos, wie sie vielleicht wirken – einige können manipulativ sein oder Druck erzeugen, der sich für uns und unsere Kund:innen unangenehm anfühlt.

    Aber sind diese Instrumente grundsätzlich „böse“? Nein, nicht unbedingt. Es kommt darauf an, wie sie eingesetzt werden. Hier ein Überblick über einige der gängigsten Marketing-Tools und deren potenzielle Risiken:

    1.1 Verknappung

    Verknappung erzeugt Dringlichkeit: „Nur noch drei Stück verfügbar!“ oder „Angebot endet heute um Mitternacht!“ 

    Ich bin mir sicher, dass du diesen Sätzen als Konsument schon begegnet bist.
    Diese Strategie funktioniert, weil sie ein Gefühl von Knappheit simuliert und wir Menschen ungern verpassen, was wir nicht mehr bekommen können.

    Problematisch wird es, wenn…
    …die Verknappung künstlich ist. Wenn beispielsweise genug Lagerbestand vorhanden ist oder das Angebot regelmäßig wiederkehrt, dann leidet deine Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Kunden schwindet.

    1.2 Psychologische Preisgestaltung

    Preise wie 9,99 € statt 10 € sind allgegenwärtig. Diese Taktik nutzt aus, dass unser Gehirn den Preis unbewusst als „niedriger“ einstuft.

    Problematisch wird es, wenn…
    … Preisstrategien die Wahrnehmung so stark beeinflussen, dass sie falsche Erwartungen wecken – etwa wenn Rabatte als „exklusiv“ beworben werden, die es eigentlich immer gibt. 

    Und nur ein teureres und ein günstigeres Paket entwickeln, um den Decoy Effekt zu nutzen macht meiner Erfahrung nach auch nicht immer Spaß oder Sinn – dann entwickelst du Pakete, die du eigentlich gar nicht gern verkaufen magst.

    1.3 Druck 

    Kaufentscheidungen unter Zeitdruck („nur heute verfügbar!“) oder sozialem Druck („97 andere haben das Produkt bereits gekauft“) können Kunden stressen.

    Problematisch wird es, wenn…
    … der Druck übertrieben wird und Kund:innen sich manipuliert fühlen – anstatt bewusst und aus Überzeugung zu entscheiden.

    1.4 Ausnutzung von Pain Points

    Pain Points sind Probleme oder Herausforderungen, die dein Produkt lösen soll. Viele Marketingstrategien arbeiten gezielt damit, diese Punkte ins Zentrum zu rücken: „Hast du auch das Gefühl, dass du nie genug Zeit hast? Dann ist mein Produkt die Lösung!“

    Problematisch wird es, wenn…
    … diese Taktik darauf abzielt, negative Emotionen wie Angst oder Schuldgefühle zu verstärken, um den Verkauf zu fördern.

    Hier streiten sich tatsächlich die Geister wie “schlimm” das ist. Nunja, ein bisschen kommt es da auch auf deine Zielgruppe an und wie heftig du in die Schmerzpunkte gehen würdest. Was man stattdessen nutzen kann? Dazu kommt unter Punkt 2 noch etwas.

    1.5 Übertriebene Versprechungen

    „Mit diesem Kurs verdienst du garantiert 10.000 € im ersten Monat!“ Übertriebene Versprechen sollen Kund:innen überzeugen, doch oft halten sie nicht, was sie versprechen.

    Problematisch wird es, wenn…
    …die Versprechen unrealistisch sind und Kund:innen enttäuscht werden. Das schadet nicht nur deinem Ruf, sondern auch der Beziehung zu deiner Community.

    1.6 Fear of Missing Out (FOMO)

    „Verpasse nicht die Chance deines Lebens!“ FOMO zielt darauf ab, ein Gefühl der Dringlichkeit zu erzeugen, indem betont wird, was Kund:innen verpassen könnten.

    Problematisch wird es, wenn…
    …FOMO Ängste schürt oder Druck aufbaut, anstatt Kund:innen zu ermutigen, bewusst zu handeln.

    1.7 Manipulative Verkaufstaktiken

    Von psychologischen Tricks bis hin zu undurchsichtigen Angeboten: Manipulative Verkaufstaktiken zielen darauf ab, Kund:innen zu einer schnellen Entscheidung zu drängen, ohne dass sie sich ausreichend informiert fühlen.

    Problematisch wird es, wenn…
    …die Taktik auf Täuschung basiert und Kund:innen das Gefühl haben, nicht die Kontrolle über ihre Entscheidung zu haben.

    2. Praktische Umsetzung ethischer Marketing-Strategien

    Wie kannst du diese gängigen Marketing-Instrumente ethisch und werteorientiert einsetzen? Es geht darum, die Balance zu finden: Du möchtest deine Produkte oder Dienstleistungen sichtbar machen und erfolgreich verkaufen – aber ohne Druck oder Manipulation. Hier sind Ansätze, wie du einige dieser Techniken auf eine ethisch vertretbare Weise nutzen kannst:

    2.1 Die Mischung macht’s: Ethischer Einsatz einzelner Instrumente

    Ein gutes Marketing basiert nicht auf dem vollständigen Verzicht auf psychologische Strategien, sondern darauf, sie bewusst und transparent einzusetzen.

    2.1.1 Verknappung kann authentisch und ehrlich sein

    Verknappung ist in Ordnung – wenn sie real ist. Beispielsweise, wenn du ein Produkt wirklich nur in limitierter Anzahl oder für einen bestimmten Zeitraum anbieten kannst. Kommuniziere dies offen:

    • „Dieser Kurs wird nur zweimal im Jahr angeboten, damit wir uns intensiv um unsere Teilnehmer:innen kümmern können.“
    • „Es gibt nur 10 Plätze, weil ich dir eine individuelle Betreuung garantieren möchte.“

    Ehrliche Verknappung schafft nicht nur Dringlichkeit, sondern auch Vertrauen.

    2.1.2 Pleasure Points statt Pain Points

    Anstatt Kund:innen immer wieder ihre „Schmerzpunkte“ vor Augen zu führen, kannst du die positiven Aspekte und Potenziale deines Produkts betonen. Zeige ihnen, wie dein Angebot ihr Leben bereichert, anstatt darauf zu bestehen, wie schlecht es ohne dein Produkt wäre.

    Beispiel:

    • Statt: „Hast du auch ständig das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben?“
    • Besser: „Stell dir vor, wie viel entspannter dein Alltag sein könnte, wenn du XY erledigt hast.“

    Diese Herangehensweise schafft Motivation und Inspiration, ohne Druck aufzubauen.

    2.1.3 Order Bumps / Funnels 

    Order Bumps, Tripwires und Upsells sind beliebte Verkaufstools, die gut funktionieren können – wenn sie auf dein Produkt abgestimmt sind und echten Mehrwert bieten.

    • Richtig gemacht:
      • Biete ein kleines, ergänzendes Produkt an, das ideal zu deinem Hauptprodukt passt.
      • Kommuniziere klar: „Als Dankeschön kannst du dieses Produkt einmalig für X Euro dazu buchen.“
    • Worauf du achten solltest:
      • Wenn du ein Produkt als „exklusives Angebot“ bewirbst, halte dieses Versprechen. Es wirkt unglaubwürdig, wenn dasselbe Produkt später zum gleichen Preis z.B. im regulären Newsletter angeboten wird.

    2.2 Verkaufswebinare: Von auffälligem Pitching zu subtileren Ansätzen

    Webinare müssen keine reinen Verkaufsveranstaltungen sein. Stattdessen kannst du Mehrwert schaffen und gleichzeitig sanft auf dein Angebot hinweisen.

    • Alternativen zu aggressivem Pitching:
      • Biete ein echtes Lernerlebnis: Vermittle Inhalte, die sofort umsetzbar sind, und baue eine natürliche Brücke zu deinem Angebot.
      • Beispiel: „Heute hast du gelernt, wie du XY machst. Wenn du den nächsten Schritt gehen willst, erkläre ich dir gerne, wie mein Kurs dir dabei helfen kann.“
    • Authentizität über alles:
      • Bleib transparent: „Am Ende des Webinars stelle ich dir mein Angebot vor. Wenn es für dich passt, freue ich mich – und wenn nicht, nimm dir einfach die kostenlosen Inhalte mit.“

    Ich habe auch schon an Webinaren teilgenommen, in denen gar nicht gepitcht wurde. Es gab eine kleine Vorstellung und im Laufe des Webinars ergab es sich einfach ganz natürlich bei der Vermittlung von Inhalten, dass über die eigenen Produkte gesprochen wurde, manchmal nur in einem Nebensatz.

    Wenn dir deine Community vertraut und es genügend Kontaktpunkte gibt, kann das dazuführen, dass diese bloße Erwähnung dazu führt, dass sich Interessierte bei dir melden.

    2.3 Authentische Kommunikation und nachhaltiges Community-Building

    Der Schlüssel zu ethischem Marketing ist Vertrauen – und Vertrauen entsteht durch Ehrlichkeit, Transparenz und eine echte Verbindung zu deiner Zielgruppe.

    So gelingt es:

    • Klare Sprache statt Hype:
      • Verzichte auf übertriebene Versprechen oder emotionale Manipulation. Stattdessen: „Mein Produkt ist keine Wundermethode, aber es hilft dir, XY einfacher zu erreichen.“
    • Nachhaltige Beziehungen aufbauen:
      • Setze auf langfristiges Community-Building, z. B. durch regelmäßige Interaktionen, hilfreiche Inhalte und ehrliche Kommunikation.

    Ethisches Marketing funktioniert langfristig, weil es Vertrauen stärkt – und Vertrauen ist die Basis für nachhaltigen Erfolg.

    3. Der Weg zu einem werteorientierten, erfolgreichen Online-Business

    Ethisches Marketing erfordert Mut und Durchhaltevermögen. Es ist nicht immer der schnellste Weg zum Erfolg, aber er fühlt sich richtig an – für dich und für deine Kund:innen. Der Schlüssel liegt darin, authentisch zu bleiben und deine Werte auch dann nicht aufzugeben, wenn der Druck groß wird.

    Ethisches Marketing bedeutet, bewusst Entscheidungen zu treffen – und sich auch mal gegen Strategien zu entscheiden, die zwar schnell Erfolg bringen könnten, aber nicht mit den eigenen Prinzipien übereinstimmen.

    Das kann herausfordernd sein, vor allem, wenn du mit klassischen Marketingtaktiken konfrontiert wirst, die dir schnelles Wachstum versprechen. Doch langfristig zahlt sich eine werteorientierte Herangehensweise aus: Du ziehst Kund:innen an, die sich mit dir und deinem Ansatz identifizieren, und baust eine Community auf, die dir vertraut.

    Denk daran: Es gibt keinen „perfekten“ oder „einheitlichen“ Weg. Ethisches Marketing ist individuell – was für die eine Person funktioniert, passt vielleicht nicht zu dir. Finde deinen eigenen Weg und vertraue darauf, dass dein Business wachsen kann, ohne deine Werte zu opfern.

    Erwartungen realistisch setzen

    Ethisches Marketing funktioniert – aber es erfordert Geduld. Wenn du langfristige Beziehungen aufbauen willst, ist es wichtig, dich von unrealistischen Erwartungen zu lösen.

    Ein Beispiel:

    • Ich will nachhaltiges Marketing machen und keinen Druck ausüben, aber das Business soll übermorgen bitte schon die ersten Millionen abwerfen – das wird dann halt eher nicht funktionieren. 

    Ethisches Marketing bedeutet auch, regelmäßig innezuhalten und dich zu fragen:

    • Fühlt sich mein Marketing noch gut an?
    • Steht es im Einklang mit meinen Werten?
    • Wie nehme ich die Reaktionen meiner Community wahr?

    Sei bereit, Strategien anzupassen, wenn du merkst, dass sie nicht mehr stimmig sind. Es gibt keine festen Regeln wie: „Wenn du zwei Countdowns verwendest, bist du unethisch.“ Stattdessen geht es darum, deine eigenen Grenzen zu definieren und Entscheidungen bewusst zu treffen.

    Toxisches Marketing mag auf den ersten Blick verlockend erscheinen, weil es oft schnelle Ergebnisse bringt. Aber langfristig fühlst du dich besser und erfolgreicher, wenn du deinem eigenen Ansatz treu bleibst.

    Das Wichtigste ist: Du entscheidest, welche Instrumente du einsetzt und wie du sie nutzt. Vertrau auf dein Bauchgefühl – wenn sich etwas falsch anfühlt, ist es das meistens auch. Dein Business soll nicht nur wirtschaftlich erfolgreich sein, sondern sich auch mit dir und deinen Werten vereinbaren lassen.

    4. Dein Marketing, Deine Werte

    Ethisches Marketing ist kein starres Regelwerk, sondern ein persönlicher Prozess. Es erfordert Reflexion, Mut und manchmal auch den Willen, einen anderen Weg zu gehen als der Mainstream. Aber es lohnt sich: Du baust nicht nur ein Business auf, sondern auch eine authentische Marke, die deine Kund:innen wirklich anspricht und inspiriert.

    Und ich hoffe, es ist auch rausgekommen, dass die Instrumente nicht grundsätzlich teuflisch sind, wir haben ein Business und wir wollen davon leben. Also müssen wir individuelle Wege und Lösungen für uns finden.

    Umso wichtiger ist deine Verbindung zu deiner Zielgruppe und eine gute Kundenreise. Sinnvolle Angebote, die aufeinander aufbauen. Die nicht gemacht sind zum Verkaufen, sondern zum Lösen von Problemen. Nicht irgendwelchen, sondern den konkreten Problemen deiner Wunschkundin. 

    Du musst deine Kundin kennen, um zu wissen, wie du sie ansprichst, wie du sie erreichst. 

    Und deine Kundin muss dir vertrauen können, um mit einem guten Gefühl bei dir zu kaufen.

    Es gibt keinen „richtigen“ oder „falschen“ Weg im ethischen Marketing – nur deinen eigenen. Probier dich aus, bleib offen für Veränderungen und finde eine Balance zwischen deinen Werten und deinem Business-Erfolg. Dein Weg wird sich lohnen!

    _____________

    Ethisches Marketing ist nicht nur ein spannendes Thema, sondern ein wichtiger Schritt, um dein Online-Business nachhaltig und werteorientiert aufzubauen. Wenn du noch tiefer in die Theorie eintauchen möchtest, dann schau dir unbedingt den ersten Teil dieses zweiteiligen Artikels auf Anikas Blog an. Dort erkläre ich dir, warum Werte das Fundament deines Marketings sein sollten und wie du deinen individuellen Kompass entwickeln kannst.

    Für die praktische Umsetzung braucht es oft nicht nur die richtige Strategie, sondern auch die passende technische Unterstützung. Genau hier kann dir Anika weiterhelfen! In ihrer Techniksprechstunde – auch bekannt als Pick my Brain-Session – kannst du in einem persönlichen Gespräch konkrete Fragen klären oder direkt an deinen technischen Herausforderungen arbeiten.

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    NO RELIGION?!

    Habe ich dir schon erzählt, das Reisen mein teuerstes Hobby ist? Und wenn ich dem nachgehe, mein Herz höher schlägt und meine Augen größer werden? 

    Ich liebe den Geruch entfernter Länder, fühle mich angezogen von ihren Geschmäcken, und sehne mich nach unbekannten Landschaften. Doch vor allem bin ich fürchterlich neugierig auf die Geschichten der Menschen. Nichts macht das Reisen besonderer, großartiger, einzigartiger für mich als die Menschen, denen man begegnet. Die Gespräche mit Fremden. Ich meine es war Yeats der gesagt haben soll: Es gibt keine Fremden, nur Freunde, die man noch nicht getroffenen hat. Besonders beim Reisen spüre ich die Wahrheit in dieser Aussage. 

    Die sonderbarste Beobachtung, die ich auf meinen Reisen machte, war folgende: es ist völlig egal, wo wir geboren wurden, es gibt Verhaltensweisen innerhalb menschlicher Gemeinschaften, die mir in den unterschiedlichsten Ländern begegneten. Sie waren mir alles andere als fremd. Ohne das ich die Sprache der Länder verstand, war es möglich dennoch zu verstehen – durch meine Augen, meine Sinne, mein Gespür füreinander. 

    Religiöse Traditionen und Glaubenssätze konnte ich überall auf der Welt entdecken. (Also überall dort, wo ich schon sein durfte für eine Weile. 😉) Bei meiner letzten Reise erlebte ich Hinduistische Traditionen, wurde in einem Tempel gesegnet und praktizierte Buddhistische Techniken. Dabei wurde mir einmal mehr bewusst wie sehr Religion Teil unseres gesellschaftlichen Miteinanders ist und wie so unsere Werte geprägt werden. 

    Die Werte, die Generationen über Generationen prägten, sind die Ausgangspunkte unserer eigenen. Allein deswegen sollten wir uns meines Erachtens mit den Werten zumindest der größten Weltreligionen auseinander setzen, um darüber zu reflektieren, welchen Ursprung unsere eigenen Werte haben könnten – und zu hinterfragen, inwieweit jene Werte, die wir für uns selbst als wichtig erachten, tatsächlich auch unsere eigenen sind. 

    Auch wenn ich neuerdings sehr geneigt bin zu schreien: „Religion, nein danke!!!“, möchte ich – vielleicht dem zum Trotz? – genau hier unsere Reise in die Welt der Ethik fortsetzen. Mit Religion. 

    In meinem ersten Teil dieser Reise erzählte ich dir von Alain de Bottons: Religion für Atheisten. Ein Buch, das uns erlaubt Religionen nicht ausschließlich als eine Frage des persönlichen Glaubens zu betrachten, sondern unabhängig dessen, unabhängig unseres Glaubens uns zu fragen, was wir von Traditionen, Bildern, Ritualen, Feiertagen für unser persönliches Leben lernen können.

    Darüber hinaus sind Religion und Moral eng miteinander verbundenen. Wusstest du, dass z.B. bei Aristoteles die Wörter Gott und göttlich zwei Mal so häufig vor kommen wie Glück und glücklich? Nicht nur spielten die Götter bei Aristoteles eine wesentliche Rolle, sondern auch bei den Philosophen Homer, Plato & Co. Texte dieser Autoren werden heute noch im Ethikunterricht gelehrt. Auch wurde diese beiden Disziplinen (Ethik & Religion) von den Epikureern und Stoiker miteinander verbunden sowie mit unterschiedlichen Inhalten bestückt. In der hebräischen Bibel und dem neuen Testament wird Religion und Moral verknüpft durch Gottes Befehl. Auch Jesus sagt uns, was wir tuen sollen – durch die zehn Gebote. Während in der griechisches Philosophie Gott uns wie ein Magnet anzieht, ist Gottes Befehl zentral in jüdischen und christlichen Schriftstücken. Auch im Mittelalter noch waren Religion und Ethik eng miteinander verbunden durch beispielsweise Persönlichkeiten wie Thomas von Aquin und Augustine. Selbst bei modernen Philosophen spielt das Göttliche weiterhin eine Rolle. 

    Diese Beispiele zeigen wie eng Religion und Ethik miteinander verbunden sind. Dennoch ist Ethik nicht mit Religion gleichzusetzen. 

    Durch die Welt zu reisen bedeutet für mich eben auch von den unterschiedlichsten Traditionen, Ritualen, Festen, Bildern, Menschen, Geschichten, Orten zu lernen und sich zu fragen, was davon das eigene Leben sogar Zuhause bereichern kann? Vieles von dem, was ich weit entfernt meines Zuhauses habe lernen und erleben dürfen, stand oftmals in Beziehung zu vorherrschenden Religionen, vieles von meinem Leben Zuhause ist von Religion geprägt – unsere Feste, unsere Traditionen, Weihnachten, Ostern, Beerdigungen und die Sache mit der Nächstenliebe. 

    So spielte die katholische Kirche in meinem Leben immer wieder eine Rolle: sei es in dem Kindergarten, den ich besuchte, in denen christliche Werte an uns weitergegeben wurden, das Gymnasium, an dem zu Tagesbeginn gebetet wurde, meine Zeit als Messdienerin, meinen Briefaustausch mit dem Bischof, und der Besuch einer irischen Mädchenschule. Der Unterschied: in der katholischen Schule in Irland gingen die Röcke der Schuluniform bis zu den Knöcheln und in Deutschland war die Kleidung oftmals Fokus und Inhalt von Lästereien. 

    Ich kann mich nicht von christlichen Werten komplett frei machen, sie spielten in der Entwicklung meiner Persönlichkeit eine wesentliche Rolle. Doch welche der Werte die mir als Heranwachsende von außen mitgeben wurden sind wirklich meine? 

    Das erste Mal als ich in Berührung mit dem Buddhismus kam war in „Sieben Jahre in Tibet“. Ich erinnere mich wie sehr mich die Geschichte um den jungen Dalai Lama bewegte, die Szenerie mich anzog und ich mich in Brad Pitt verliebte. 

    Es verwundert mich daher nicht, dass es der buddhistische Religionsführer ist, der als erster von ihnen Ethik über Religion stellt. Ist das vielleicht das Geheimnis zu Frieden? 

    Der Tag, an dem ich der Buddhismus mich berührte

    In Mitten des Himalayas, hoch oben auf 3867 Metern Höhe, betrat ich Dawa Choling Gompa in Tengboche, Nepal. Das Tibetisch-Buddhistische Kloster wurde 1916 erbaut, wobei Schriftstücke von einem weitaus älteren Kloster berichten. Das heutige Gebäude ist ein Wiederaufbau. 1934 wurde das Kloster durch ein Erdbeben zerstört, 1989 brannte es bis auf die Grundmauern nieder, und 2015 stützte es erneut durch das große Erdbeben ein. Unser Guide (@nepalgram) führte uns über Namche Bazar auf einer mehrtägigen Trekking-Tour nach Tengboche. Einen Ort mit Blick auf die höchsten und schönsten Gipfel der Welt. Mir stockte der Atem als ich in der Gebetshalle mit der sich über zwei Ebenen erstreckenden Buddha-Figur Platz nahm. Die Wände waren geschmückt mit bunten Verzierungen, Gebetsfahnen schmückten den Raum. Die buddhistischen Mönche versammelten sich in der Halle. Es war kalt. Meine Füße mit den klumpigen Wanderschuhen fühlten sich schwer an. Ich hatte Gänsehaut als ich während der Gebete mich selbst dort sitzen sah. Es bewegte mich. Ich fragte mich plötzlich, was das Leben ausmache. Ein Mönch antwortete mir: „Es verläuft im Kreis.“ 

    Ziel der buddhistisches Praxis ist es Frieden zu finden von unserem Leiden, indem wir die Welt betrachten wie sie ist und die Projektionen verbannen, die unsere Gedanken und Emotionen kreieren. Und manchmal braucht es dafür einfach nur Stille. In der Stille können wir uns selbst hören. 

    Ich glaube, dass wir viel vom Buddhismus lernen können. Wenn wir uns von unseren Gedanken und Gefühlen distanzieren, die Welt so ein wenig mehr betrachten wie sie ist und nicht das, was wir auf sie projizieren, wir zu einem Ort gelangen voller Mitgefühl und Miteinander. Oder mit den Worten des Dalai Lamas ausgedrückt: „Ethik, nicht Religion, ist in der menschlichen Natur verankert. (…) Das Mitfühlen ist die Basis des menschlichen Zusammenlebens. Es ist meine Überzeugung, dass die menschliche Entwicklung auf Kooperation und nicht auf Wettbewerb beruht.“

    Kommen wir zurück in unsere Breitengrade: Auch der Rechtsstaat Deutschland und das Christentum sind eng miteinander verbunden. Nicht nur das: Gott ist eng verbunden mit der deutschen Gesetzgebung. Und so können wir in unserem Alltag  – unabhängig davon was wir als Individuum glauben (oder nicht) – in Deutschland viel Christliches entdecken. 

    Die christliche Werte sind in unserem Grundgesetzt verankert. Dort heißt es in der Präambel: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Religion spielt im Grundgesetz eine Rolle bevor Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung eine Rolle spielen. Die Verantwortung vor Gott steht vor der Verantwortung gegenüber den Menschen, die in diesem Land leben. Wir kommen folglich an der Religion nicht vorbei. 

    Begeben wir uns auf die Suche nach unseren eigenen Werten, müssen wir uns auch mit der Frage auseinander setzen: Was sind wirklich MEINE Werte? Und so unreligiös wir auch sein mögen, in der Reflexion unserer Werte im Verhältnis zu denen, die uns vorgelebt wurden, stoßen wir früher oder später auf Werte, die religiösen Ursprungs sind. 

    Hier eine kleine Übersicht über die zentralen Werte der fünf Weltreligionen & deren Gemeinsamkeiten:

    Der Dalai Lama, das Oberhaupt der Buddhisten, beschreibt in dem Buch „Appell des Dalai Lama für eine säkulare Ethik und Frieden“, dass Religionen oftmals intolerant seien. Um politische und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, werden oftmals Religionen missbraucht oder instrumentalisiert. Daher bedarf es einer säkularen Ethik – eben einer Ethik fern ab der Religionen. 

    So können wir zwar ohne Religion auskommen, aber nicht ohne Ethik. Dementsprechend geht für den Dalai Lama Ethik tiefer und ist zeitgleich natürlicher als Religion. Das wesentliche ist unsere menschliche, elementare Spiritualität, die als in den Menschen angelegte Neigung zu Liebe, Güte und Zuneigung darstellt. 

    Auch gibt er der Spiritualität eine Bedeutung, die sich von Religionen frei machen kann. Für den Dalai Lama fangen wir an spirituell zu leben, „(w)enn wir uns entschließen, die inneren Werte, die wir alle bei anderen schätzen, zu kultivieren“ (ebd., S. 12).

    Für den Dalai Lama ist Ethik nicht „die Summe von Geboten und Verboten, die es zu befolgen gilt, sondern für ein natürliches, inneres Angebot, das uns zu Glück und Zufriedenheit mitunter selbst und mit anderen führen kann“ (Ebd., S. 16). Der Grundgedanke aller Religionen sei die Liebe. Die unterschiedlichen philosophischen Ansätze unterscheiden die Religionen und stellen eigentlich nur unterschiedlichen Ansätze zur Förderung von Liebe dar. Somit sei Ethik „die Wissenschaft vom Glück“ (ebd. S. 24). 

    Den Blick des Dalai Lamas auf die Beziehung zwischen Ethik und Religion empfinde ich als eine friedliche. Wir müssen uns auf dieser Reise nach den eigenen Werten auch mit Religion befassen – ob wir wollen oder nicht. Aber Ethik ist mehr, sie kann mehr, sie kann der Schlüssel zu einer friedlicheren Welt sein. Vor allem beruhe, so der Dalai Lama, die menschliche Entwicklung auf Kooperation. Die entscheidende Frage sei dabei: Wie können wir einander dienen? (Ebd., S. 9)

    Und vielleicht ist dies genau die Frage, die wir einander stellen sollten – um in einen Dialog zu treten über unsere Werte und deren Ursprungs. Daher frage ich dich heute: Wie können wir einander dienen? Wie kann ich dir dienen?

    Schreibe deine Gedanken in die Kommentare oder kontaktiere mich gerne per Mail, per LinkedIn oder Instagram @austethikberatung


    Quellenangaben:
    Hare, John, „Religion and Morality“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2019 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/fall2019/entries/religion-morality/>.

    Dalai Lama. Appell des Dalai Lamas an die Welt: Ethik ist wichtiger als Religion. (2015) Wals bei Salzburg: Benevento Publishing.

    http://pix.kirche-mv.de/fileadmin/elkm/lankow/Gemeindebriefe/Archiv/Psalmen_2014/Welt_Religion_2009/Werte_und_Normen_der_Religionen.pdf